DaFabula

Ganz nebenbei

In meinem Lieblingscafé hatte ich mir gerade einen starken Espresso und ein Stück Apfelkuchen bestellt. Das war eines meiner Lieblingsrituale, um in ein entspanntes Wochenende einzutauchen: Samstagmorgen, beim Bäcker um die Ecke. Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einem Paar gefesselt, das neben mir in einer Eisdiele, an einem der bunten kleinen Blechtische, sass, die auf den Gehsteig vor dem Lokal gestellt worden waren. Beide waren mittleren Alters, modisch gekleidet und sassen sich gegenüber. Er machte ein sehr ernstes Gesicht als er mit ihr redete und dabei heftig mit seinen Händen gestikulierte. «Nun bin ich seit sechs Monaten hier und Du hast Dich immer noch nicht entschieden, ob Du zu mir kommen möchtest, um hier mit mir zu leben.» Seine Augen nahmen einen besorgten Ausdruck an. «Warum tust du das?», fragte er eindringlich. «Habe ich etwas falsch gemacht?» Sie griff nach seinen Händen, die er mittlerweile wieder auf die Tischplatte zwischen sie beide gelegt hatte und suchte seinen Blickkontakt.

Es war einer dieser wunderbaren sonnigen Frühsommertage, noch nicht zu heiss, aber trotzdem schon warm genug, dass man Lust auf ein Eis bekommt. Doch dies war dem Mann und der Frau offenbar nicht wichtig in diesem Augenblick. Das Eis, das in bunten Kugeln in den hohen Gläsern vor ihnen aufgetürmt war, begann durch die Wärme langsam zu schmelzen. Dicke Tropfen, in verschiedenen Pastellfarben, liefen am Aussenrand herunter, vermengten sich manchmal miteinander und bekamen dann einen neuen Farbton, bevor sie schliesslich auf die Tischplatte flossen, wo sich bereits ein kleiner kühler See gebildet hatte.

Als sie seinen Blick endlich gefunden hatte, probierte er ein verrutschtes Lächeln. Man konnte sehen, wie verloren und unsicher er sich fühlte und wie es hinter seiner zerfurchten Stirn angestrengt arbeitete. «Weshalb machst Du Dir so viele Sorgen?», fragte sie ihn und streichelte dabei leicht seine Handrücken «Warum bloss?» In ihrem Blick lag plötzlich so viel Wärme, aber auch ein grosses Fragezeichen. Nach einem kleinen Zögern fing er an zu sprechen, ohne dabei seine Hände unter den ihren hervorzuziehen. So als bräuchte er diese Berührung, diese Verbindung, um endlich über das sprechen zu können, was in seinem Innern vorging. «Ich möchte Dich nicht verlieren. Ich möchte nicht mehr länger alleine sein. Ich war es schon viel zu lange in meinem Leben.» Seine Stimme, die zuerst kaum vernehmlich war, bekam auf einmal Kraft. «Nach allem, was wir gemeinsam durchgestanden haben und was wir erreicht haben, darf das nicht passieren.» Nun zog er seine Hände doch hervor und begann seine Worte wieder mit Gesten zu unterstreichen. Plötzlich redete er in einem Schwall, als würden sich all die Worte und Sätze, die er in seinem Innern lange aufgestaut hatte, einen Damm brechen. Nun wollte er reden, ihr alles sagen, ihr zeigen, was sie ihm bedeutete. Auf ihrem Gesicht war zuerst nur ein Erstaunen bemerkbar. So kannte sie ihn offenbar gar nicht. Dann begann sie zu lächeln und legte ihm ihren rechten Zeigefinger ganz leicht auf die Lippen. «Du musst dich nicht erklären und auch keine Probleme suchen, wo vielleicht gar keine sind.» Sie sprach diese Worte langsam und deutlich aus. Es war ihr ganz offensichtlich ein Anliegen, dass er sie verstand. «Ich weiss, dass dir Sicherheit wichtig ist.», fuhr sie fort. «Das ist es mir auch. Wir können aber beide nicht aus unserer Haut schlüpfen. Es braucht immer auch Zeit, Vertrauen und…» Leider konnte ich nicht mehr verstehen, wie das Gespräch an dieser Stelle weiter verlief, da eine Gruppe gutgelaunter Jugendlicher sich an einen der grossen Tische in der Eisdiele gesetzt hatte und sich unter viel Geplapper und Gelächter ein Eis gönnte. Einzig als das Paar sich nach einigen Minuten erhob und Hand in Hand an mir vorbeiging konnte ich noch hören wie sie zu ihm sagte: «Ich habe mich bereits entschieden, ich werde zu dir kommen. Gib mir noch ein wenig Zeit, aber ich komme.»

Als sie weitergingen blieb mein Blick an dem Paar hängen bis es, kaum noch erkennbar, in der Menge der flanierenden Menschen in der Fussgängerzone verschwand. Es war offensichtlich ein gutes Gespräch gewesen und er wusste nun, was er wissen musste. Ich musste unwillkürlich lächeln. «Wichtige Dinge passieren oftmals ganz nebenbei, nicht geplant und ohne Vorwarnung», ging es mir durch den Kopf, «und ich konnte heute bei einem solchen Augenblick dabei sein.» Irgendwie gab mir dies ein gutes Gefühl und ich war dankbar für diese unverhoffte Begegnung. Danach bezahlte ich meine Rechnung und machte mich, noch ganz in Gedanken versunken, in mein Wochenende auf, das ich nun in vollen Zügen und ganz bewusst geniessen wollte.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *