DaFabula

The English Patient

Es gibt Geschichten, die nicht einfach erzählt werden – sie werden empfunden. „Der englische Patient“ ist eine solche Geschichte. Buch (geschrieben von Michael Ondaatje) wie Film entführen in eine Welt, in der Verletzlichkeit auf Würde trifft, Erinnerung auf Liebe, Schmerz auf Hoffnung. Selten gelingt es einer Geschichte, in beiden Formen – literarisch wie filmisch – derart überzeugend zu wirken. Jede für sich erschliesst eine ganze Welt.

Diese Geschichte berührt einige meiner Grundwerte: Liebe, Freundschaft, Respekt und Selbstlosigkeit.

Ein schwerst brandversehrter Mann wird von einer jungen Krankenschwester gepflegt, die selbst durch die Gräuel des Krieges alle Illusionen und Lebenswünsche verloren hat. Äusserlich verbindet die beiden nichts. Und doch: In einem zerbombten Kloster irgendwo in Italien – den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs – bleiben sie zurück. Sie pflegt ihn weiter, obwohl klar ist, dass er nicht mehr lange leben wird. Anfangs distanziert, beinahe mechanisch. Doch während sie aus einem abgegriffenen Herodot-Buch vorliest, das er wie einen Schatz hütet, stösst sie auf Skizzen, Fotos und Erinnerungsstücke – Fragmente eines Lebens voller Geschichten.

Stück für Stück beginnt der „englische Patient“ zu erzählen. Mit Poesie, Wehmut und Schmerz spricht er von der Begegnung mit einer verheirateten Frau, der er sich in Liebe zuwandte, vom Glück und der Tragik dieser Verbindung, von Loyalität, Stolz und der Verzweiflung über ein verlorenes Versprechen. Die Tiefe dieser Erzählung entfaltet sich leise, unaufdringlich – und erschüttert zutiefst.

Durch seine Worte beginnt die junge Frau, wieder an das Leben zu glauben. Der Schmerz bleibt, aber etwas in ihr beginnt, sich zu regen – Mut, Neugier, Hoffnung. Und er, der durch ihre Nähe all das ein letztes Mal durchleben durfte, findet Frieden.

Als er ihr eines Tages wortlos die Dosen Morphium reicht oder einfach nur sanft an sie heranschiebt – Schmerzmittel, aber auch Ausweg – erkennt sie seinen Wunsch. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Doch sie versteht. Sie hat die Grösse, ihn auf diesem letzten Wegstück zu begleiten. Sie verabreicht ihm die tödliche Dosis, legt sich zu ihm, umarmt ihn – ein stilles Zeichen: Du bist nicht allein. Alles ist gut.

Als er eingeschlafen ist, liest sie ihm die letzten Zeilen vor – geschrieben von der Frau, die einst in einer Höhle auf ihn wartete, verwundet, doch voller Vertrauen, dass er zurückkommen würde. Selbst wenn sie dann nicht mehr lebte.

Nun sind sie wieder vereint. Im Palast der Winde.

Das ist Liebe. Das ist wahre, selbstlose Freundschaft. Diese Szene – wie so viele in dieser Geschichte – berührt mich jedes Mal aufs Neue. Ich bin jedes Mal erschüttert. Und ja, mir stehen die Tränen in den Augen. In solchen Momenten steht die Welt einen Augenblick für mich still und ich bin mit allem verbunden, das mir wertvoll ist.

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